2011-01-29

Eine Klärung der daddy issues könnte auch die Frage klären, wo "mutig" aufhört und "nuttig" anfängt.

Erstmalig erkläre ich einen Tweet. Na dann, auf geht's.


Eine Klärung der daddy issues könnte auch die Frage klären, wo "mutig" aufhört und "nuttig" anfängt.


Soll folgendes sagen:


Ich, als sich irgendwie beschädigtes fühlendes daddy-issues-girl, darf mich gleichzeitig auch noch stolze Besitzerin ausgewachsener self-esteem-issues nennen. Minderwertigkeitskomplexe hooray.


Das war die Kurzfassung. Jetzt mal auseinandergenommen:
Warum schiebe ich das auf meinen Vater? Weil der die Aufgabe gehabt hätte, mich stark zu machen, mich zu bestätigen, mir Aufmerksamkeit und Lob für das zu geben, was ich leiste.
Verdammt, ich hatte in meinem Zimmer Gedichte auf meiner Tapete stehen, selbstgeschriebene Gedichte, mit Bleistift auf der verdammten Wand. Und der Idiot hat nicht einmal was dazu gesagt. Nicht ein einziges Mal. Er hat mir einen ganzen Sommer lang einen Kleiderschrank in mein Zimmer gebaut, war jeden Tag in meinem Zimmer mit den vollgeschriebenen Wänden. Und nicht ein einziges Mal ein "Hast du das alles selbst geschrieben? Find ich toll" oder auch nur ein stehenbleiben und aufmerksam lesen, was da steht. Kein einziges Mal.


Und so ging das ja nicht nur diesen Sommer. Sondern immer, mein ganzes Leben. Mein Vater hat mich nicht geschlagen oder missbraucht, aber er hielt es nicht für nötig, Interesse zu zeigen. Für keine von uns. Wie der erfahrene Küchenpsychologe weiß, ist der Vater für die Tochter das erste männliche Gegenüber. Klar. Mama liebt mich immer, ich war ja auch mal in ihrem Uterus und überhaupt, Mutter-Kind-Bindung-blah. Mein Vater hingegen hat mich nicht geboren oder gestillt oder was auch immer. In der Tierwelt fressen manche Väter ihre Jungen, daran muss ich immer denken. Mutterliebe erscheint mir irgendwie selbstverständlicher als Vaterliebe.


Also. Zurück zu dem, was ich sagen wollte. Ein Vater sollte seinem Kind Bestätigung geben. Für die Tochter heißt das, dass sie durch ihren Vater lernt, dass sie Wert hat. Sie, als Frau, hat Wert. Und dass ihr Wert gesehen, bemerkt wird. Wenn Papa sagt "du bist schön", braucht es ein bisschen mehr als nur einen dummen Jungen, um dem Mädchen was anderes zu erzählen. "Mein Papa findet mich schön. Ich bin schön. Und wer was anderes sagt, hat im Gegensatz zu meinem Papa keine Ahnung."


Aber wie ist das nun, wenn Papa nichts merkt. "Papa, ich war beim Friseur." "Papa, ich hab neue Klamotten an, guck mal." "Papa, ich hab ein Abendkleid an, guck mal." "Papa, ich kann tolle Gedichte schreiben. Es stehen auch welche an meiner Tapete, guck mal." "Papa, ich hab Akne, bin ich so schlimm hässlich, wie es sich anfühlt?"
Äh. Papa guckt auf seinen Computerbildschirm oder macht Mittagsschlaf und befindet es nicht für nötig, Interesse zu zeigen, einfach mal hinzugucken, wie es dem Kind geht, was es macht. Deswegen muss man ihm alle diese Sachen extra sagen. Wo andere Väter sagen, was für eine schöne, schlaue, tolle Tochter sie haben, muss ich meinen Vater erst darauf hinweisen, dass ich überhaupt da bin. Ansonsten ist der PC oder die Welt da draußen oder weiß der Geier was einfach interessanter.


Und was ist das jetzt mit "mutig oder nuttig"?
Das weiß ich halt nicht, ehrlich gesagt. Rede ich gerne über meine Brüste, weil ich tatsächlich finde, dass ich darüber reden darf und weil ich das auch will? Oder weil sich dann andere Menschen freuen und mich mögen? Andere Mädchen steigen mit jedem Typen ins Bett, weil sie hoffen, so Bestätigung zu bekommen, die Papa ihnen nicht gegeben hat. Nun, so schlimm ist es mit mir nicht, ich wäre für sowas auch viel zu unsicher, aber ich habe andere Aufmerksamkeitsbeschaffungsmaßnahmen. Und wenn ich über meine Brüste oder Mumu-Tweets twittere oder über meine Brüste rede oder weit ausgeschnittene Sachen trage oder kokettiere oder WAS ZUM KUCKUCK AUCH IMMER, dann weiß ich manchmal selbst nicht, was das eigentlich soll. Will ich das, weil ich das lustig finde und es mir Spaß macht? Mach ich das für mich? Das wäre mutig, in einer bestimmten Art und Weise, es wäre ein "ich mach was ich will, wie ich es will".
Oooooder... mach ich das, weil es die Möglichkeit bietet, dass andere mich mögen? Jeder mag Brüste. Wenn ich offenherzig (haha) mit meinen umgehe, wird das doch auch gemocht.


Aha.


Also, ich erkenne die Grenze nicht. Ich weiß nicht, wann ich mutig bin und wann nuttig. Ich weiß nicht, wie weit ich für wen gehe.


Aber ich schieb's auf meinen Vater. "Papa", du hättest da sein sollen und mir beibringen sollen, dass ich etwas wert bin. Dass ich nicht minderwertig bin. Dass es nicht mein Weltbild erschüttern muss, wenn man mich für etwas lobt. Aber jedes Mal, wenn ich für etwas gelobt werde, bringt mich das aus dem Konzept. Weil das nicht richtig erscheint. Ich kann nicht schön sein. Sonst hättest du mir das doch beigebracht, oder? Du hättest mich doch wissen lassen, dass ich schön bin und dass ich wert bin. Aber du hast mir das nicht beigebracht. Und deshalb kann's auch nicht stimmen. Die anderen mit ihren Komplimenten müssen sich irren. Oder sie wollen mich verarschen, die Ficker, sowas gemeines.


Ich bin mir sicher, dass mein Vater nicht absichtlich so ein Vollidiot ist. Da kann er (fast) nichts für. Er dachte halt, einmal abspritzen und der Rest ergibt sich von allein. Tja, das war leider ein Irrtum.


Aber auch das lehrt. "Papa", dank dir weiß ich, dass Männer, alle, bis auf die wenigen wertvollen Ausnahmen, schwach sind und unzuverlässig. Dass sie nicht nachdenken über das, was sie tun. Dass sie egoistisch sind und frau am besten lesbisch sein sollte, weil Männer Menschen zweiter Klasse sind, mit denen man nur Ärger hat. Danke, "Papa". Was würde ich nur ohne dieses Wissen tun.
(Vielleicht beziehungsfähig sein, zum Beispiel.)


Und irgendwann erzähl ich euch noch, dass ich nicht nur den Unterschied zwischen "nuttig - mutig" nicht genau weiß, sondern auch mit dem Unterschied zwischen "ich liebe jemanden, weil er toll ist" und "ich liebe jemanden, weil er mich toll findet" Schwierigkeiten habe.

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